Arbeitsprobe zu „The enemy in the figure“ von William Forsythe

A very interesting mess

Mittwoch, 13.9.2023, 19.25 Uhr, Balletthaus

In Studio 1 schauen die zahlreich erschienenen Ballettfreunde auf eine schwarze Stellwand, die diagonal wie zufällig den Raum unterteilt in ein Davor und Dahinter, ein auf dem Boden liegendes dickes Seil, z.T. von der Stellwand verdeckt, einen großen Scheinwerfer, der links im Raum vor der Spiegelwand steht, Tänzerinnen und Tänzer im eher sportlichen Trainingsdress , ununterbrochen in Bewegung, Figuren übend und immer wieder durch den Raum laufend, gelegentlich miteinander kommunizierend, nickend, die typischen Handbewegungen ausführend, um diese später wieder in Bewegung umzusetzen.

Thomas McManus und Ana Catalina Roman, die das Stück nun zusammen in Düsseldorf einstudieren, gehörten 1989 zur ersten Besetzung des Stückes und haben es maßgeblich mitgestaltet. Dramaturgin Juliane Schunke erklärt nach der Begrüßung den Ablauf des Abends: Die Ballettfreunde werden exklusiv den ersten Durchlauf des Stückes von William Forsythe „The Enemy in the figure“ erleben. Es wird keine Unterbrechungen geben, das Stück wird so durchlaufen wie bislang einstudiert. Im Anschluss nach ca. 30 Minuten werden Juliane Schunke, Thomas McManus und die Tänzerin Marta Andreitsiv ein Gespräch über die Arbeitsprobe und das Stück führen. Thomas McManus bittet um Verständnis, dass die Musik von Thom Willems ab und zu sehr laut werden kann, und weist darauf hin, dass der 5000 Watt starke Scheinwerfer in den Proben nur als Requisit in Studio 1 stehe, da diese Wattleistung nur auf der Bühne möglich sei. Außerdem brauche man für die Proben einen gänzlich erhellten Raum.

Die Arbeitsprobe beginnt
Man sieht Tänzer, die kraftvoll zu den rhythmischen Klängen der Musik durch den Raum tanzen, laufen, in immer wieder kehrenden und erweiterten Bewegungen sich winden, Paare, die fast klassische Pas de Deux vor der schwarzen Wand tanzen, dann wieder abrupt verschwinden und mit einem neuen Partner wiederkommen. Hinter der nicht einsehbaren Wand wird ebenfalls getanzt. Das Seil wird von zwei Tänzern angehoben, so dass Wellenbewegungen entstehen, von denen aber die Zuschauer nur die Endausläufer sehen. Das Seil wird wiederholt von jeweils anderen Tänzer*innen in Bewegung gebracht. Ein Tänzer steht an der Wand, beobachtet, bemächtigt sich plötzlich des Scheinwerfers auf dem Rollstativ und fährt ihn auf eine andere Position mitten in den Raum. Auf der Bühne wird er mit seinem gleißenden Licht in der neuen Position für neue Projektionen auf die Stellwand und so für veränderte Licht- und Schattenspiele sorgen. Der Zuschauer beobachtet atemlose Bewegungsabläufe, unerhörte Schnelligkeit, immer wieder neue Paarkonstellationen, Rastlosigkeit und plötzliches Verharren. Er ist vom Zuschauen (fast) genauso erschöpft wie die Tänzerinnen, die langanhaltenden Applaus bekommen und nach einem Abschlussgespräch mit Thomas McManus Studio 1 verlassen.

In der sich anschließenden lebendigen Gesprächsrunde beschreibt Marta Andreitsiv aus ihrer Sicht den individuellen Entstehungsprozess der Choreographie. Thomas McManus erläutert die Hintergründe der Entstehungsgeschichte des Stücks sowie den Prozess der künstlerischen Arbeit mit den Tänzerinnen und Tänzern. Juliane Schunke moderiert das Gespräch.

Marta Andreitsiv, Thomas McManus, Juliane Schunke

Entstehungsgeschichte
William Forsythe kreierte „The enemy in the figure“ 1989 in Frankfurt für 10 Tänzer*innen. Da das Opernhaus Frankfurt in weiten Teilen abgebrannt war, war man gezwungen im Foyer zu proben. Man befand sich, wie Thomas McManus berichtet, „außerhalb der Comfort-Zone“. Die Entstehung der Choreographie war ein Prozess von insgesamt drei Wochen. Man probte 12 Stunden am Tag, sieben Tage lang, nur im Foyer.

Die Musik
William Forsythe hatte bei Thom Willems, mit dem er schon mehrfach zusammengearbeitet hatte, eine Musik in Auftrag gegeben. Diese Komposition sollte den Tänzerinnen die größte Möglichkeit bieten, sich individuell auszudrücken. In dieser Choreographie ist die Musik die einzige durchgehende Orientierung für die Tänzerinnen. Sie sorgt für die ausgewogene Balance der Bewegungen auf der Bühne, erläutert Thomas McManus, was Marta bestätigt.

Die Choreographie
Thomas McManus berichtet, dass Forsythe den Tänzerinnen einerseits explizite Angaben machte, was sie zu tun hatten. Ansagen wie „Komm nach vorn, geh hinter die Wand, zeig dich dann, geh weiter!“ Aber auch „Versuche Deine Grenzen zu finden, komm an Dein Limit, finde eine Grenze in den Bewegungen, komm aus der Balance, finde wieder Dein Gleichgewicht.“ So entstand ein Mix aus Improvisation und festgelegten Vorgaben, zum Beispiel für die Pas de Deux. Die Choreographie ist bis heute eine einzige Suche, die nie zu einem Ende findet.

Die Bewegungen
Marta Andreitsiv erklärt die Entstehung der individuellen Bewegungen. So hat jeder Tänzer, jede Tänzerin die Aufgabe, eine eigene Bewegung zu finden. Sie müssen über diese Bewegung nachdenken, sie weiter „denken“, auch außerhalb der Proben, zu Hause, wie eine Hausaufgabe. Der Tänzer oder die Tänzerin sind jederzeit mit diesem Stück beschäftigt, mit dem Körper, in Gedanken, denn die individuelle Bewegung muss ständig weiter entwickelt und verändert werden. Gleichzeitig muss man auf den Partner schauen, wie er seine Bewegung interpretiert. Man ist im ständigen Gespräch, man muss zuhören und immer darauf schauen, wie der jeweilige Partner seine Bewegung weiter entwickelt. Die Tänzerinnen und Tänzer wechseln ständig die Perspektive und nutzen den gesamten Raum. Gleichwohl kann es immer wieder zu Missverständnissen kommen, aber „jede Katastrophe habe auch das Potenzial einer Chance“ (M.Andreitsiv). Sie führt weiter aus: „In diesem Stück wechseln ständig die Partner und Partnerinnen, es wird vor der Wand getanzt, dann wieder dahinter, dann gibt es Kostümwechsel hinter der Bühne… Eigentlich ist dieses Stück ein einziges Durcheinander (a mess)!“, worauf Thomas McManus lachend ergänzt: „Indeed, but a very interesting mess.“

Die Bühne
Thomas McManus berichtet, dass 1989 im Foyer zunächst eine Woche ohne Requisiten geprobt worden sei, dann wurden nacheinander der Scheinwerfer, die Wand und das Seil hinzugefügt. Diese Dinge sorgen für das Gleichgewicht auf der Bühne und bilden neben der Musik den Bezugsrahmen für die Tänzer*innen. Sie bestimmen, wie man sich auf der Bühne bewegt. Dem 5000 Watt starken Scheinwerfer kommt die Bedeutung zu, den Raum noch einmal zu strukturieren. Er unterteilt den Raum in Hell und Dunkel, in Licht und Schatten. Die Anordnung der Elemente ist sehr genau vorgegeben, die Positionen des Scheinwerfers sind nicht beliebig, sondern sogar auf dem Boden markiert. Das Licht kreiert die Dramaturgie des Stückes. Die präzise Anordnung der Elemente ist wichtig, um als Tänzerin und Tänzer offen sein zu können für die eigenen Bewegungsabläufe. Thomas McManus erläutert, dass „The enemy in the figure“ aus 50% Vorgabe, also etwas sehr Bewusstem bestehe, und aus 50% Unbewusstem, das sich aus dem Individuum der Tänzer*innen heraus entwickelt.

Fazit
Das Publikum soll beobachten, aber muss nicht alles verstehen.
Jede Compagnie findet ihre eigene Interpretation, jeder Abend kann anders sein. Es ist ratsam, dieses Stück mehrfach zu sehen, weil es einem ständigen Veränderungsprozess unterworfen ist. „Seit 30 Jahren gibt es „The enemy in the figure“ und es ist immer noch so modern. Und seit 20 Jahren studiere ich dieses Stück mit anderen Compagnien ein. Und jedes Mal ist es anders. Ich liebe dieses Stück!“ (Thomas McManus)

Wir danken allen Beteiligten für diese interessante und sehr erhellende Arbeitsprobe.

Zu sehen ist „The enemy in the figure“ in dem dreiteiligen Balletabend „Drei Meister - Drei Werke“. Die weiteren Meister sind George Balanchines mit „Rubies“ und Hans van Manen mit „Visions Fugitives“. Premiere ist am 6.10. im Opernhaus Düsseldorf.

Weitere Informationen zu „Drei Meister - Drei Werke“

Text: Renate Raeune, Bilder: Erich Kutzera